Liebes Leben ...

30. November 2008

... was ist eigentlich geheim?

Neulich sah ich eine Buchauslage im Schaufenster. Da lag "Das Geheimnis glücklicher Kinder", daneben "Das Geheimnis des Erfolgs" und ein Stück weiter "Das Geheimnis des perfekten Flirts". Wow, mir war gar nicht bewusst, wie viele Geheimnisse diese Welt noch so birgt. Da habe ich doch schnell mal nachgeschaut: Wenn man das Wort in der Büchersuche bei Amazon eingibt, bekommt man immerhin stolze 6278 Ergebnisse! Ein Grund, gleich nochmal wow zu sagen: Mir war nämlich auch nicht bewusst, dass es so viele Leute gibt, die diese Geheimnisse kennen und sie bereitwillig mit anderen teilen. Mal abgesehen von der geheimen Frage, ob ein ausposauntes Geheimnis eigentlich noch ein solches ist, bin ich da ja nicht so: Meine PIN-Nummer zum Beispiel ist geheim und bleibt es auch, aber so was von. Das ist allerdings ja auch kein Wunder, im Gegensatz zu den vielen anderen Wundern, die es neben den sieben offiziellen sonst noch so gibt. Denn wenn etwas ausnahmsweise mal nicht geheim ist, dann ist es wenigstens ein Wunder. Das Wunder Gehirn, das Wunder Baum, das Wunder Liebe, das Wunder Haut, die Wunder-Konsole, außerdem natürlich das Wunder von Manhattan, das von Bern und das blaue. Eine durchaus wunderliche Sache, die natürlich insgeheim auch als wunder Punkt der Menschheit durchgehen kann. Zum Glück muss man sich deswegen noch nicht heimlich wundern. Aber wer weiß - vielleicht heißt es irgendwann mal: Du willst Dich wundern? Dann geh heim, aber dalli!

29. November 2008

... hää?

Es ist ja nicht so, dass ich Menschen für dumm halten würde. Das wäre ja anmaßend. Allerdings ziehe ich es manchmal durchaus in Erwägung, dass es vereinzelt Mitbürger gibt, die ihre Hirnmasse nur subtoptimal nutzen. Gestern zum Beispiel stellte sich ein Mädel hinter mir in die Kassenschlange, und zwar eine, die ich keinem Mann ins Bett wünschen würde. "Schahaaatz, komm! Schatz, hier geht's schneller!" nörgelte sie. Schatz beirrte das gar nicht, er blieb ruhig in der Nebenschlange stehen. "Meine" Schlange war zwar die kürzere, aber das heißt ja nicht, dass das auch die schnellere sein muss - schließlich kommt's auf die Länge nicht an, Männer wissen das. Bei beiden Schlangen ging es kontinuierlich voran, begleitet von ewigem "Schahaaaaaatz"-Gerufe, das irgendwann in einem "Mann, du nervst!" endete. Ich finde ja eher, dass sie es war, die nervte, aber gut. Als sie gerade dabei war, ihre Einkäufe hinter meinen aufs Band zu legen, öffnete die andere Nebenkasse und ich sagte zu meiner neuen Freundin: "Da geht's bestimmt noch schneller ..." Sie sah mich an wie eine Kuh wenn's donnert: "Hää? Wo?" Ich deutete hinüber, sie sammelte eilig ihre Sachen zusammen und hechtete hinüber. Schatz kam ergeben hinterher. Als ich gerade gezahlt hatte, hörte ich es neben mir kreischen und ich dachte schon, sie würde sowas sagen wie: "Scheiße, ich habe vergessen, Hirnschmalz zu kaufen!" Aber nein. Sie sagte: "Ey, Schatz, guck mal, wir sind sogar vor sie draußen!" Sie meinte mich. Und dazu fiel mir nichts mehr ein. Bis auf die Frau, die ich neulich im Ein-Euro-Laden die Verkäuferin fragen hörte: "Was kostet denn das hier?" Beim Einkaufen kann man wirklich immer was erleben.

26. November 2008

... lebe ich nach meiner Zeit?

Ich fasse es nicht. Wo sind eigentlich diese schlichten Lichterbögen hin, die man sich früher zur Weihnachtszeit in jedes Fenster gestellt hat? Ok, das machen die Leute heute auch noch - aber wo kaufen die diese verflixten Dinger? Ich meine nicht die handgeschnitzten Schwibbögen aus dem Erzgebirge, sondern die ganz einfachen Exemplare! Meine Eltern besaßen die in allen Variationen: in rund und als Treppe, in groß und in klein, in Naturholz und farbig lackiert ... Ich mag den Gedanken, dass die Lichter dem Jesuskind den Weg ins Haus zeigen - auch, wenn es natürlich lieber durch die Tür als durchs Fenster kommen soll. Ich habe da ja so meine Ansprüche, wie der himmlische Besuch in die Wohnung zu kommen hat: Als früher einmal so ein armer Weihnachtsmann-Student auf Anweisung meiner Eltern brav an der Tür geklopft hat (denn Weihnachtsmänner würden ganz bestimmt nie klingeln), öffnete ich die Tür und fragte ihn, ob er wohl die Klingel nicht gefunden hat. Na ja. Heute sind die meisten Klingeln ja beleuchtet, da wäre die Frage nicht mehr berechtigt. Dafür ist mein Fenster unbeleuchtet. Wobei ich ja nicht behaupten kann, dass es keine Auswahl gäbe: Es gibt leuchtende Riesen-Rentiere fürs Garagendach, blinkende Schneemänner, bunte Lichterketten, Lichterketten in Eiszapfenform, Lichterketten, Lichterketten und nochmal Lichterketten. Nur um den Lichterbogen macht anscheinend jeder einen Bogen. Ich habe genau ein Exemplar gefunden, allerdings treppenförmig und aus hellem Holz - ich will aber einen Bogen in weiß. Falls jemand einen Tipp hat - gern.

24. November 2008

... das ist weinzigartig, oder?

Um das mal festzuhalten: Wein ist ja nicht bloß irgendein alkoholisches Getränk, neihein! Wein stellt besondere Ansprüche an seinen Verkoster, und obwohl ich gerne mal ein Gläschen trinke, sehe ich mich nicht in der Lage, diese zu erfüllen. Mir fehlt zum Beispiel das korrekte Vokabular. Mit "Rioja", "Chardonnay" und "Merlot" kann ich ja etwas anfangen, aber darüber hinaus bin ich immer sehr dankbar, wenn Weinkarten mir geschmackliche Hinweise geben, also etwa: "trocken, mit einer Vanillenote und fruchtigem Beeren-Bouquet". Oder so ähnlich. Manchmal sind die Beschreibungen allerdings für Laien weniger eindeutig, dafür mehr komisch. Gestern fand ich zum Beispiel erstmals die Umschreibung "körperreich". Ich musste an Hella von Sinnen denken, die in meiner Phantasie sagte: "Nun, da ich sehr körperreich bin, verhülle ich mich gern in praktischen Overalls." Ich habe das Wort sofort in meine ewige Euphemismus-Liste für "dick" aufgenommen. In Wirklichkeit bedeutet ein körperreicher Wein, ich habe es extra nachgeschaut, "mit vielen Extraktstoffen und Alkohol". Man könnte wohl auch sagen "gehaltvoll", wenn man ein durchschnittlicher Mensch wäre. Aber dann würde es ja jeder verstehen. Ebenso irritiert bin ich, wenn auf dem Etikett zum Beispiel steht: "ausdrucksstark", "ehrlich" oder "elegant". Hat der Wein Persönlichkeit? Könnte er mich anlügen? Schlampig aus dem Flaschenhals kleckern? Ich halte das ja für reine Marketingworte, die man lesen lernen muss wie ein Arbeitszeugnis, damit man den Leuten keinen reinen Wein einschenken muss. "Dieser Wein war stets bemüht, einen guten Abgang zu machen." Klingt immerhin besser als "fader Nachgeschmack". Wein kann übrigens auch "kurz" sein, was übersetzt heißt: "Ist nach dem Trinken gleich weg" - wie unhöflich. Genausogut kann er nervig oder rassig sein, strahlig oder tot schmecken, aber das will ich gar nicht alles erklären, ist doch nur alter Wein in neuen Schläuchen. Wenn man so tun will, als sei man Weinkenner, gehe man schlicht folgendermaßen vor: Das Glas schwenken. Am Inhalt riechen. Laut schlürfend einen Schluck trinken. Kennermiene aufsetzen. Drei auswendig gelernte Wein-Vokabeln in die Runde schmeißen ("Mmmhhhh, samtig elegant, aber im Abgang etwas ledrig") und dann am besten noch hinterschieben: "Der muss noch etwas atmen, dann wird er noch besser". Wenn einem mal gar nichts einfällt, bleibt einem immer noch die beliebte Behauptung: Der korkt!

21. November 2008

... muss man wirklich alles wissen?

So. Da soll der Hitler also nur einen Hoden gehabt haben. Wahnsinn, das war ja wohl die Nachricht der Woche, Mann, Mann, Mann! Oder eben auch nicht so sehr Mann, egal, denn ich weiß noch ganz andere Dinge, psssst: Der Mann war vom Sternzeichen Widder und hieß Adolf mit Vornamen! Ist das nicht irre? Wahrscheinlich müssen bald alle einhodigen, im April geborenen Adolfs zum Wesenstest - oder was fangen wir sonst an mit diesen wertvollen Informationen? Ich meine: das eignet sich doch nicht einmal als Smalltalk-Thema! Es gibt ja anderes unnützes Wissen, das irgendwie noch witzig ist, zum Beispiel kann man in eine Unterhaltung einfach mal einstreuen, dass vergiftete Ameisen immer nach rechts umfallen (sagt Martin), dass der medizinische Ausdruck für einen Pups "flatus" ist, dass der Gockel auf den Kellogs Cornflakes "Cornelius" heißt, oder dass ein Schmetterling 12000 Augen hat. Aber dass Hitler nur einen Hoden hatte? Was, wenn jemand am Stehtisch aufschreit und sagt: "Na und? Ich hab' gar keinen!" Oder: "Was soll's, ich hab' drei!" Wer könnte dann noch ungezwungen und mit Appetit von den Canapés naschen? Na bitte. Ich weiß auch nicht, wen es eigentlich interessiert, dass ein Berliner Müllmann es sich im Abfuhrwagen von einer Prostituierten hat besorgen lassen. Dass es Müllschlucker also auch in weiblich gibt, ist manchen Zeitungen sogar die komplette Titelseite wert. Wahrscheinlich sollte man sich freuen: Immerhin heißt das doch wohl, dass in der Welt nichts schlimmeres passiert sein kann. By the way: Wie viele Hoden hatte eigentlich der Müllmann?

18. November 2008

... sammeln Hühner Karma?

Mir ist ja, im Gegensatz zu vielen anderen wissenshungrigen Menschen auf der Welt, ziemlich egal, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war. Mich interessiert viel mehr: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Huhn und einem Hähnchen? Ja, ich weiß, die dumme Pute stellt heute dumme Fragen - ist doch ganz einfach, das Huhn kommt in die Suppe und das Hähnchen auf den Grill. Das Huhn ist fett und das Hähnchen mager. Ergo: Das Huhn muss weiblich und das Hähnchen männlich (wenn auch noch ein Jüngling) sein. Ha, reingefallen! Ich, laut chinesischem Tierkreis übrigens Sternzeichen Hahn, musste das natürlich recherchieren und habe gelernt: Huhn heißt sämtliches Federvieh, also das gackernde wie das gockelnde. Das weibliche Huhn heißt nämlich Henne (und wenn's eine fette Henne ist, ist's eine Pflanze). Dafür kann ein Hähnchen sowohl männlich als auch weiblich sein. Dann gibt's noch die Poularde (ein schweres Hähnchen), den Kapaun (kastrierter Masthahn) und das Hühnchen, das ständig gerupft wird, das arme. Nur: Warum heißt das Suppenhuhn dann Suppenhuhn und nicht Suppenhenne? Kann das auch ein Suppenhahn gewesen sein? Wer entscheidet, ob die Henne später mal ein Suppenhuhn oder vielleicht doch ein Hähnchen werden darf? Sammeln Hühner vielleicht Karma? Und was passiert, wenn man ein Perlhuhn vor die Säue wirft? Herrje, ich fürchte, irgendwas in der Suppe, die ich am Wochenende gekocht habe, war nicht gut ... bestimmt war es das Hähnchen, das beleidigt war, weil es trotz guter Führung nicht auf einem schicken Edelstahlgrill, sondern in einem Suppentopf zwischen Lauch, Möhren und Sellerie gelandet ist.

15. November 2008

... ist das jetzt zu hoch gehängt?

Eigentlich hängt es mir ja eher zu tief, und zwar zu tief runter. Ich entdeckte es heute morgen beim Frühstück, als es erst unmotiviert vor meinem Fenster rumhing und dann, gepeitscht vom Wind, beinahe gegen mein Fenster schlug: Zwei Drei-Meter-Efeu-Ranken, die meine neuen Übermieter mittig auf ihrem und damit irgendwie auch auf meinem Balkon platziert haben. Jetzt hängt unser Verhältnis also an zwei seidenen Efeu-Ranken. Na prima, nach dem Rauken-Debakel jetzt das Ranken-Debakel. Genau genommen sind es eher karge Lianen mit ein paar vereinzelten Blättern dran. Also nicht mal schön. Ich sehe die schon im Sommer dekorativ in meinem Weißwein-Glas hängen. Was tun? Soll ich die Nachbarn fragen, ob sie an ihren Ranken hängen, oder schnippel ich sie einfach gleich ab? Da sie sie selbst ja nicht mal sehen können, legen sie ja wohl keinen gesteigerten Wert darauf. Ich könnte auch versuchen, das Ding langsam von unten zu vergiften (soll ja die weibliche Form des Mordens sein), aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Efeu eine der wenigen Pflanzen ist, die so gut wie unzerstörbar ist. Grrr, kaum da, schon hängt es mir zum Halse raus - es hat ja nicht mal ein Überhang-Mandat beantragt! Ich selbst habe ja zugegebenermaßen eher einen leichten Hang zum Spießertum: Ich erwäge die Anschaffung neuer Hausschuhe mit Filzsohlen, weil ich meinen unteren Nachbarn nicht mit zu viel Trittschall durch das neue Laminat belästigen will. Ich wasche zwischen 13 und 15 Uhr keine Wäsche, weil ich die Zeitspanne noch als Mittagsruhe kenne. Und ich hänge meine Balkonbegrünung nach innen, damit eventuell überschießendes Gieß- oder Regenwasser nicht den Balkon des Nachbarn flutet. So bin ich. Und dafür hängt mein Wohnzimmer-Glück jetzt von zwei Fremd-Ranken ab. Manno! Ich will die Nachbarn hängen, und zwar gleich neben das hässliche Efeu! Aber das ist ja noch verbotener als die Rankerei selbst (falls das überhaupt verboten ist). Da lasse ich ganz schön den Kopf hängen. Sieht so aus, als würde das erst mal eine längere Hängepartie werden ...

12. November 2008

... fallen Kilos ins Gewicht?

Kürzlich sah ich, wie eine zarte Elfe durch einen Bahnwaggon stöckelte. Alles an ihr war irgendwie zierlich, klein und niedlich - bis sie sich hinsetzte. Oder besser gesagt: hinplumpste. Da hörte ich jedes einzelne Kilo auf die Sitzbank fallen und ich korrigierte meinen Schätzwert von 60 Kilo ganz schnell auf 75. Und ich dachte daran, wie ich einmal in einer Internet-Single-Börse nicht nur Körpergröße und Gewicht abgefragt wurde, sondern auch noch die Figur beschreiben sollte. Dafür gab es eine Liste, und obwohl ich schon viele Listen in meinem Leben gesehen habe, beeindruckte mich ihr Umfang. Noch nie hatte ich so viele Umschreibungen für einen gewöhnlichen Leib gesehen: Stattlich, fraulich, knackig, mollig, rund, sportlich, athletisch, kurvig, ohne Hüftgold, mit Hüftgold, weiblich, um nur ein paar zu nennen. Damals fragte ich mich, ob man wohl mit 1,80 Metern und 65 Kilo mollig sein kann? Oder ob die Menschen es mit Humor betrachten würden, wenn jemand mit 1,50 Metern und 90 Kilo die Kategorie "schlank" wählt? Kurz: Mir erschloss sich weder die Notwendigkeit einer solchen Zusatz-Auswahl (zumal ich keine Auswahlliste für Charaktereigenschaften gefunden hatte, interessiert wohl niemanden), noch diese lächerliche euphemistische Darstellung. Ist rund dicker als mollig? Ist fraulich dünner als weiblich? Ist Tine Wittler rund oder mit Hüftgold? Oder beides? Ach nee, das ging ja nicht, man muss sich schon entscheiden. Die Begriffe sind immerhin so dehnbar wie ein Gummizug (die es nur gibt, damit auch die "kurvigen" Frauen in Größe 34 passen). Heute verstehe ich, warum Größe und Gewicht nicht reichen: Die U-Bahn-Elfe hat mir gezeigt, dass man auch mit Top-Maßen die Kategorie "Elefant" auswählen müsste, um bei der Wahrheit zu bleiben.
Und: Nicht jeder Tag ist gleich. Ich fühle mich heute zum Beispiel auch fünf mal so schwer wie sonst, was daran liegen könnte, dass mein Kopf gerade gefühlte drei Tonnen Schleim in den Nasennebenhöhlen gebunkert hat. Für schlechte Zeiten wahrscheinlich, schließlich wird's Winter. Und Schleim kann man immer gebrauchen. Vor allem im Berufsleben.

9. November 2008

... ein Mahl und nie wieder?

Es ist doch immer eine große Freude, in einem öffentlichen Personalrestaurant zu speisen. Dort scheint sich ein ungeschriebener Kantinen-Knigge durchgesetzt zu haben: Als erstes ist es wichtig, sich möglichst lange am Besteck aufzuhalten, um dadurch alle anderen aufzuhalten - nicht, dass hier noch irgendetwas flüssiger läuft als der gurgelnde Getränkeautomat. Viele Leute haben mit dieser Form der Entschleunigung zum Glück kein Problem, da es ihnen entweder an nötiger Feinmotorik mangelt, um das Besteck zielgerichtet aus den Öffnungen zu greifen, oder weil sie gerade mit sehr differenzierten Überlegungen beschäftigt sind, wie: Ist es wahrscheinlicher, dass ich Messer und Gabel brauche, oder doch eher einen Löffel - oder vielleicht sogar alles drei? Und was ist mit einem Dessertlöffel? Werde ich wohl nach dem Essen, das ich mir bis jetzt noch gar nicht ausgesucht habe, noch Lust auf einen Nachtisch haben, ohne das aktuelle Dessert-Angebot zu kennen? Die schwer wiegenden Entscheidungen an den Besteckkästen sind nicht zu unterschätzen. Wenn man das geschafft hat, steht man am besten erst mal unentschlossen im Weg rum, kneift die Augen zusammen und legt den Kopf ein bisschen schräg, um aus der Ferne die einzelnen Menüangebote entziffern zu können (bloß nicht näher rangehen, die Damen und Herren an der Essensausgabe könnten das als Interesse interpretieren). Wenn man sich entschieden hat, welches Essen heute die farblich schönste Kombination bietet, ein ausgewogenes Preis-Leistungsverhältnis hat und obendrein auch noch schmecken könnte, begebe man sich auf den Weg dorthin und stupse dabei freundlich andere Unentschlossene mit dem Tablett in den Rücken, um anzuzeigen: Ich will hia duach! Bei der Essensausgabe hat es sich etabliert, Sonderwünsche anzumelden: Ich möchte gern das dritte Schnitzel von vorn, aus der linken Reihe, oder: Ach, eigentlich hätte ich lieber gern Röstkartoffeln statt Pommes. Abschließend muss man sich dann nur noch an der Schlange und dort dann besonders blöd anstellen - zum Beispiel alles stehen lassen und nochmal zurücklaufen, weil man die 13-ml-Tüte Ketchup vergessen hat (die gibt's wirklich: reichen für vier Mal Würstchen reinstippen, ich hab's ausprobiert). Auch beliebt: Über den Preis disuktieren oder lange nach passendem Kleingeld suchen. Wer es dann noch schafft, direkt am Eingang zu den Sitzplätzen stehen zu bleiben und so den Durchgang zu versperren, hat es geschafft: Er wird sich nicht mehr die Zunge an der mittlerweile erkalteten Mahlzeit verbrennen, hat seine Arme durch den ausdauernden Transport des Tabletts gestählt, bereits die Hälfte der öden Mittagspause erfolgreich hinter sich gebracht und außerdem eine Menge neuer Freunde gewonnen.

5. November 2008

... muss denn alles seine Ordnung haben?

Ich weiß nicht, warum wir unter viel Getöse diesen Einbürgerungstest eingeführt haben - es gibt doch viel einfachere Möglichkeiten, um herauszufinden, wie deutsch jemand ist! Heute stand ich zum Beispiel an einer einspurigen Einbahnstraße an einer Lichtzeichenanlage (hat nach dieser Formulierung noch jemand Fragen zu meiner Nationalität?). Der Verkehr stand still, da ein größeres Vehikel weiter vorn gerade die Straße blockierte, es ging weder vor, noch zurück, doch die freundlichen Autofahrer hatten ausnahmsweise mitgedacht und eine kleine Gasse für die Fußgänger gelassen (so vorbildlich sollten mal die Leute im Supermarkt ihre Einkaufswagen führen, dann hätte ich Freitag abends oft bessere Laune, aber das ist ein anderes Thema). Man hätte also gefahrlos die Ampel passieren können, aber die signalisierte: Halt! Bei grün geh'n und bei rot steh'n, ja, auch ich besaß Rolf Zuckowskis Schulweg-Hitparade. Aber das hier war ja nun kein Schulweg. Da könnten zwei kleine rote Männchen normalerweise niemanden vom Überqueren der Straße abhalten. Doch ein kleines blaues Männchen kann es. In vorderster Reihe stand nämlich einer unserer Ordnungshüter mit wachsamem Auge, was dazu führte, dass sich auf beiden Seiten der Straße ein Pulk von Menschen sammelte, der auf das grüne Männchen wartete (doof, dass die Polizisten nicht mehr grün tragen ...). Es wurde nicht mal gehupt, und dabei trifft man doch sonst ständig auf Autos, deren Hupe automatisch zum Einsatz zu kommen scheint, wenn die Räder mal länger als fünf Sekunden nicht in Bewegung sind. Soll noch mal einer sagen, wir hätten keinen Respekt vor der Staatsgewalt. Denn mal ehrlich: Was hätte das blaue Männchen uns tun können? Als Fußgänger über eine rote Ampel zu gehen, gibt eine Verwarnung, maximal ein Verwarngeld von fünf Euro. Obwohl ich fast sicher bin, dass der Blaue sich in der Masse versteckend erleichtert mitgegangen wäre, anstatt da so blöd rumzustehen. Aber nein, wir sind deutsch, wir gehen nicht über rote Ampeln, nicht mal, wenn die Straße in beide Richtungen gesperrt wäre. Das wäre doch ein wirklich simpler Einbürgerungstest: Man findet nicht nur heraus, ob sich jemand an die Straßenverkehrsordnung hält, sondern auch, ob er deutsche Polizisten erkennt und sich ihrer Autorität beugt oder wahlweise dem Gruppendruck unterordnet. Ist das nicht völlig ausreichend?

3. November 2008

... warum immer Rucola?

Das möchte ich wirklich mal wissen. Das Zeug wuchert in deutschen Küchen zurzeit schlimmer als Unkraut in deutschen Gärten, so dass man es in sämtlichen grammatikalischen Variationen bekommt: Rucola auf Pizza, Rucola im Sommersalat, Spaghetti mit Rucola, Bruschetta an Rucola. Da es oft schon gar nicht mehr extra auf der Karte steht, scheint es schon unausweichlich zum Gericht dazu zu gehören wie Salz und Pfeffer. Dabei ist es nicht mal nur so, dass es mir nicht besonders gut schmeckt, nee, viel schlimmer ist: Man kann das Zeug kaum unfallfrei essen! Ein Ende, meistens das längere, schnellt garantiert immer wieder von der Gabel, da ist in neun von zehn Fällen unfeines nachstopfen angesagt. Und wenn man das Stängelchen dann doch endlich irgendwie in die Fressluke gekriegt hat, läuft einem mit Sicherheit das Balsamico-Dressing aus dem linken Mundwinkel. Als das Grünzeug noch Rauke hieß, war es (mit Recht) noch nicht so beliebt. Vielleicht muss man Dingen im Laufe der Jahre einfach mal einen neuen Namen geben, damit die Leute es wieder cool finden. Vorzugsweise einen, der kosmopolit klingt, Hauptsache, nicht deutsch. Man trinkt ja auch manchmal schon lieber Vino als Wein, und isst Pasta statt Nudeln. Oder man arbeitet lieber als Account Executive anstatt als Kundenbetreuer. Oder als Call-Center-Agent statt als Telefonist, das klingt dann schon fast nach James Bond. Der ja auch 'ne ziemlich wilde Rauke ist.