Liebes Leben ...

14. Dezember 2008

... was ist eigentlich nett?

Es gibt Wörter, die scheinen im Laufe eines Lebens ihre Bedeutung zu verändern. "Nett" ist so eines. Früher waren die Menschen entweder nett oder doof: Nette Kinder haben mit einem gespielt, doofe haben einem das Spielzeug weggenommen; nette Fleischverkäufer haben einem eine Scheibe Wurst geschenkt, doofe haben sie lieber ihrem Hund gegeben; nette Lehrer machten früher Schluss, doofe überzogen die Stunde, so einfach war das. Wer nett war, war liebenswürdig, freundlich und sympathisch. Wer heute hingegen nett ist, ist reizlos, langweilig und blöd. Ich weiß nicht, wie, wann und warum es zu einem Schimpfwort geworden ist, aber es scheint allgemein anerkannt zu sein. Wenn man "nett" sagt, kann man damit einen Menschen genausogut meinen wie die Kuh auf der Weide oder ein Käsebrot mit Ketchup - es ist einfach unspezifisch und nichtssagend. Noch drastischer ausgedrückt: "Nett" ist der kleine Bruder von "scheiße", besonders in Steigerungsformen wie "ganz nett" oder "ziemlich nett". Wenn Männer in Kontaktanzeigen schreiben, sie seien "nett, lieb und treu" hält man sie darum entweder für eigenschaftslose Nerds (die man früher, als nett noch wirklich nett war, Eigenbrötler nannte) oder für wahnsinnige Psychopathen. Oder für ein Stofftier. Selbstbeschreibungen sind sowieso eine Sache für sich. Beliebt ist es ja, sie mit dem Hinweis zu beginnen, dass es ja nicht so leicht sei, sich selbst zu beschreiben, man es aber trotzdem mal versuche. Das ist ungefähr so originell wie ein "Hallo" in der Betreffzeile. Ich würde mal sagen, beides gehört in die Kategorie "nett". Nicht mal mehr nett, sondern unglaubwürdig sind alle, die sich als "humorvoll" bezeichnen. Wer das betont, steht im Verdacht, zum Lachen in den Keller zu gehen. Denn wer wirklich Humor hat, gibt eine Kostprobe durch eine humorige Selbstdarstellung, aber hängt sich kein blinkendes Humor-Schild um den Hals. "Ich bin ehrlich" heißt wahrscheinlich "Ich sag' dir schonungslos die Meinung", "Ich bin zuverlässig" bedeutet "Ruf gefälligst an, wenn du drei Minuten zu spät kommst" und "Ich bin spontan" meint "Ich ändere meine Meinung dreimal am Tag". So wie man Arbeitszeugnisse und Reisekataloge übersetzt, sollte man auch Kontaktanzeigen übersetzen. Das würde bestimmt die ein oder andere "nette Überraschung" verhindern.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das könnte erklären, warum ich keine Chance bei den Mädels habe. Ich bin einfach zu nett.
Übrigens finde ich besonders die Anzeigen von Partnervermittlungen erstaunlich. So als hätten die Inhaber ihre Texte seit 50 Jahren nicht mehr erneuert und würden nur die Namen austauschen. Wer zum Kuckuck möchte eine "herzensgute" Witwe (42)? Und was heißt eigentlich "natürlich hübsch"? Männer sind anscheinend immer "kultiviert". He, wer kommt auf die Idee, sich als "anschmiegsam" anzupreisen? Oder als "aufrichtige Frau mit schöner weiblicher Figur"? Das mit dem Übersetzen ist da gar nicht so einfach. Muss man "natürlich" als "geistig einfach gestrickt" lesen? Heißt "Mein Zuhause ist, wo mein Herz ist", dass die Dame als wohnungslos gilt? Und lassen "charmante Lachfältchen" auf kultivierten Knitterlook schließen? Da lob ich mir doch klare Worte wie "Junggebliebene Witwe mit guter Rente und Erspartem". Wenn sie dann auch noch selbstgebackene Plätzchen in Aussicht stellt ...

mir hat gesagt…

Och, ich finde die Übersetzungen so schon ziemlich gut getroffen ...

Du hast nur vergessen zu erwähnen, dass es auch nicht unbedingt ein wertvolles Prädikat sein muss, kultiviert zu sein - Bakterien in Petrischalen sind auch kultiviert, ohne dass es sie in irgendeiner Weise attraktiver machen würde.