Liebes Leben ...

20. Dezember 2008

... ist die Weihnachtszeit besinnlich?

Möchte mal wissen, wer so etwas behauptet - der müsste wohl auch mal wieder zur Besinnung kommen. Oder einfach mal einen Fuß in die Innenstadt setzen, am besten an einem Samstag, nachdem er vorher die ganze Woche schon mal Weihnachten vorgefeiert hat, wie man das eben mit sämtlichen Kollegenkreisen so macht. In den besinnlichen Innenstädten findet jedenfalls eine vorweihnachtliche Art der Menschenschieberei statt, die tatsächlich stark die Sinne anspricht. Der Geruchssinn ist arg damit beschäftigt, den Duft von Bratwürsten, Mandeln und 273 Sorten Parfüm zu filtern. Der Tastsinn ist im Dauereinsatz, meldet "Dicker Bauch schiebt von hinten", "Einkaufstüte donnert ans Knie" oder "Ellenbogen im Zwerchfell". Der Hörsinn schaltet ab, wenn er das 15. Mal "Last Christmas" vernommen hat. Und der Sehsinn ist sowieso völlig überarbeitet und kann sich nur noch auf das konzentrieren, was für die Lieben unter'm Tannebaum liegen soll. Zum Beispiel: Tunnelblick auf schwarze Schals. Man sieht dann überhaupt nichts anderes mehr - am Ende habe ich zwar keinem Passanten seinen Schal abgenommen, aber einer Schaufensterpuppe ihren Dekoschal abgekauft. Die größte Traube Menschen bildet sich erfahrungsgemäß aber vor den Buchläden. Da versammeln sich all die Menschen, die genau einmal im Jahr ein Buch kaufen und es dann auch noch verschenken. Schön war folgender Dialog vor "Thalia": "Ich will da noch mal kurz rein!" "Warum denn, was gibt's denn da?" "Na, Bücher!" "Oh nääää ... ich geh' doch nicht mehr zur Schule ..." Dazu sei gesagt: Es gibt bei "Thalia" zwar Bücher, aber nicht nur. Neben Kalendern und Notizbüchern, die einen dort ja nicht wirklich erstaunen, findet man inzwischen auch allerlei Süßigkeiten und kürzlich sah ich dort sogar Seife. Wahrscheinlich soll man, wenn man während des Lesens die Schokolade verzehrt hat, sich danach mit der Seife die Hände waschen, damit man sein schönes Buch nicht einschmiert. Vielleicht könnte man sich in der Geschäftsführung auch mal überlegen, Nachttischlampen zu verkaufen, damit man nicht mehr im Dunkeln lesen muss. Oder Picknickdecken, für den nächsten Lese-Ausflug in den Park; das passende Fahrrad könnte man eigentlich auch gleich anbieten. Es muss doch eine Bedeutung haben, dass die Worte "besinnlich" und "unsinnig" so nah beieinander liegen ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Weihnachten ist auf jeden Fall besinnlich! Nur kommt es eben immer darauf an wo man das Besinnliche sucht. In einer Großstadt, wohlgemerkt der zweitgrößten Deutschlands, wird es sicherlich schwierig werden gerade auf einem Weihnachtsmarkt etwas weihnachtliche Ruhe zu finden. Abgesehen von den Weihnachtshassern und all denjenigen, denen das eh alles zu komerziell geworden ist, kommt immer noch eine beachtliche Zahl an Besuchern zusammen. Hinzu kommen dann noch all die Touristen, zusammengekarrt in riesigen Reisebussen aus allen Ecken der Republik. Ab und zu fackelt ja auch mal einer an der Autobahn ab. Also schon eine nervenaufreibende Angelegenheit. Aber man darf natürlich nicht nur das negative sehen. Verglichen mit den Weihnachtsmärkten im Ausland stellt man dann doch schnell fest, dass es in Deutschland schon relativ gemütlich und vor allem traditionell zugeht. Der Glühwein macht alle etwas lockerer und natürlich auch lauter. Solange es keine Straßenschlachten gibt und die Weihnachtsbommeln umherfliegen scheint man das ganze Treiben dann doch zähneknirschend hinzunehmen. Aber wo ist denn jetzt bitteschön die Ruhe? Ich kenne einen Weihnachtsmarkt, da geht es wirklich ruhig zu. Dieser liegt in den neuen Bundesländern, östlich von Leipzig. Auch als Geburtsstadt von Joachim Ringelnatz bekannt. Und weil das so ist, steht auch ein hübsches kleines Denkmal auf dem gemütlichen Marktplatz. Aufgrund der begrenzten Arbeitsmöglichkeiten und der immer stetig zunehmenden Vergreisung findet man selbst am Wochenende keine Massenanstürme vor den Glühweinständen. Das einzige was passieren kann ist das ein paar intolerante Jugendliche ihren Testosteronspiegel nicht unter Kontrolle haben und jede Möglichkeit nutzen einen Streit anzufangen. Das Getränk mit Schuß wirkt dabei eher als Katalysator. Wenn man dann im Krankenhaus zu sich kommt, hat man dann auch wieder Ruhe, insofern man Privatpatient ist und das Leistungspaket die Chefarztbehandlung bzw. das Einzelzimmer mit einschließt. Ruhiger geht’s dann wirklich nicht! Möchte man in Hamburg bleiben kann man sich aber auch in aller Ruhe mal in eine Kirche setzen. Da findet man doch auch etwas besinnliches und kann seinen Gedanken freien Lauf lassen. Mal von der kritischen Vergangenheit des Klerus abgesehen ist das doch ein Ort des Friedens und der innerlichen Tiefe, finde ich. Außerdem sollte man ganz einfach die Rush Hour meiden und nach 20 bzw. 21 Uhr durch die Straßen gehen. Dann ist es eh nicht mehr so voll, man hat Platz, schont den Geldbeutel da es eh nix mehr zu kaufen gibt und kann nebenbei auch Weihnachtsfilme in den unzähligen Hamburger Erdgeschoßwohnungen mitsehen… Gardinen bzw. Vorhänge scheinen ja in einigen Stadtteilen absolut verpöhnt zu sein. Man muss sich nur warm anziehen … obwohl, bei den Temperaturen ist nicht mal das notwendig.

mir hat gesagt…

Vielen Dank für diese erschöpfende Analyse - ich glaube, das war das erste Mal, dass der Kommentar länger war als das Posting selbst ;-)